2024. Die VUCA (engl. volatility, uncertainty, complexity, and ambiguity) Welt trifft auf Risikomanagement. Warum fällt es Organisationen immer noch schwer, einem effektiven Risikomanagement Priorität einzuräumen? Haben wir nichts gelernt? Von globalen Pandemien und Unterbrechungen der Versorgungskette bis hin zu Cyberattacken und dem Klimawandel sind Unternehmen mit einer ständig wachsenden Zahl von Risiken konfrontiert, die ihre Strategien entgleisen lassen und ihren Erfolg untergraben. Und das Tempo, mit der sich die Risikolandschaft weiterentwickelt, ist alles andere als langsam. Das gilt auch für die Fachkräfte, die sich in derselben Geschwindigkeit weiterentwickeln müssen. Doch allen voran: die Unternehmen.
Doch trotz der zunehmenden Bedeutung dieser Funktion gelingt es vielen Organisationen nach wie vor nicht, Talente für das Risikomanagement zu gewinnen, zu entwickeln und zu halten. Dieser Artikel untersucht die Veränderungen in der Gehälterstruktur des Risikomanagements und beleuchtet die aktuellen Entwicklungen und treibenden Faktoren, die die Einkommensdynamik in dieser wichtigen Disziplin bestimmen.
Risikomanagement im Wandel
In nur einer einzigen Dekade hat sich die Risikolandschaft grundlegend verändert. Unternehmen müssen sich mit einer Vielzahl von neuen und komplexen Risiken auseinandersetzen. Traditionelle Risikomanagement-Praktiken, die sich früher vor allem auf finanzielle und operative Risiken konzentrierten, sind heute schlicht unzureichend, um die unzähligen Herausforderungen des modernen Geschäftsumfelds zu bewältigen.
COVID-19 hat uns eindringlich vor Augen geführt, wie eng die Risiken miteinander verknüpft sind und wie groß das Potenzial für Kaskadeneffekte ist. Unterbrechungen der Lieferkette, Probleme mit der Belegschaft und volatile Marktbedingungen machten die Anfälligkeit von Unternehmen deutlich, die auf solch weitreichende und systemische Risiken nicht vorbereitet waren. Gleichzeitig haben die zunehmende Digitalisierung und die wachsende Abhängigkeit von Technologie eine neue Ära eingeläutet: Cyberattacken, Datenschutz und die Notwendigkeit robuster Cyber-Sicherheitsmaßnahmen. Cybersecurity wird das große Thema der Epoche von künstlicher Intelligenz, Machine Learning und dem “Internet of Things” (IoT) sein.
Darüber hinaus haben die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG-Risiken) in den Vordergrund der Diskussionen im Risikomanagement gerückt. Unternehmen stehen unter wachsendem Druck von Interessengruppen, Regulierungsbehörden und der Öffentlichkeit. Es geht darum, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, nachhaltige Praktiken einzuführen und die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken zu mindern.
Dadurch hat sich das Risikomanagement von einer isolierten Funktion zu einem integralen Bestandteil der strategischen Entscheidungsfindung entwickelt. Von Risikomanager:innen wird heute erwartet, dass sie die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens genau kennen, aufkommende Risiken möglichst vorhersehen und verwertbare Erkenntnisse liefern, um risikobasierte Entscheidungen auf höchster Ebene zu unterstützen.
Dementsprechend müssen sich auch die Fähigkeiten, Kompetenzen und ja, auch die Gehaltsstrukturen von Fachkräften im Risikomanagement weiterentwickeln. Unternehmen, die sich nicht anpassen und nicht in den Aufbau eines soliden Risikomanagements investieren, sind denkbar schlecht für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet.
Neudefinition: Risikomanagement 4.0
Die Neudefinition als Risikomanagement 4.0 erfordert, dass sie über eine breitere Palette von Fähigkeiten verfügen und mehr strategische Verantwortung übernehmen. Das traditionelle Risikomanagement konzentrierte sich auf die Identifizierung, Bewertung und Abschwächung von Risiken in bestimmten Bereichen – wie Finanzen, Geschäftsbetrieb oder Compliance. Die vernetzte Natur moderner Risiken erfordert jedoch einen ganzheitlicheren und integrierten Ansatz.
Zu dem Ergebnis kommt auch der 2023 Risk Salary & Recruitment Trends Guide von Careers in Risk. Die Rolle der Risikomanager hat sich von reinen Risikoberater:innen zu strategischen Partner:innen in Entscheidungsprozessen gewandelt. Von ihnen wird zunehmend erwartet, dass sie Erkenntnisse und Empfehlungen liefern, die zur Gesamtstrategie und zum Erreichen der Unternehmensziele beitragen.
Die Entwicklung eines diversifizierten Portfolios an Kompetenzen, die über die traditionellen Fähigkeiten des Risikomanagements hinausgehen, wird immer wichtiger. Von Risikomanagern werden jetzt starke analytische und datengesteuerte Fähigkeiten verlangt, die sie in die Lage versetzen, fortschrittliche Analyse-, Modellierungs- und Datenvisualisierungstechniken zu nutzen, um Risiken effektiv zu identifizieren und zu quantifizieren. Also Kompetenzen, die in den Bereich Data Science fallen.
Samantha Beavers vom der NC State University (Master of Management, Risk and Analytics) bestätigt das: " Wir stellen fest, dass diese Unternehmen nicht nur nach irgendeiner Art von Verantwortlichen im Risikomanagement suchen, sondern nach Fachkräften, die formell im Risikomanagement und in der Analyse von Daten zur Unterstützung strategischer Entscheidungen ausgebildet sind."
Auch das FINANCE-Magazin betont, dass Risikomanager über ein umfassendes Verständnis der Geschäftsabläufe, Prozesse und Strategien des Unternehmens verfügen müssen. Diese ganzheitliche Perspektive ermöglicht es ihnen, Risiken im breiteren Kontext der Unternehmensziele zu bewerten und Empfehlungen zu geben, die mit der allgemeinen Risikobereitschaft und -toleranz des Unternehmens übereinstimmen.
Und hier hört es nicht auf: Risikomanager:innen müssen außergewöhnliche Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation und Stakeholder-Management entwickeln, damit sie Risikoinformationen effektiv an verschiedene Zielgruppen vermitteln können – von Mitarbeitenden bis hin zu Führungskräften und dem Vorstand. Sie müssen imstande sein, komplexe Risikodaten in umsetzbare Erkenntnisse und Empfehlungen zu übersetzen, die bei diversen Interessengruppen Anklang finden.
Weitere Soft Skills, wie kritisches Denken, Problemlösung und Anpassungsfähigkeit, sind ebenfalls gefragt. Verantwortliche im Risikomanagement 4.0 müssen mit Mehrdeutigkeiten umgehen, kreativ denken und innovative Lösungen entwickeln, um neue und komplexe Risiken anzugehen. Typische Anforderungen, die übereinstimmen mit der aktuellen Liste von Fähigkeiten laut Prognosen des Weltwirtschaftsforum.
Infolgedessen suchen Organisationen zunehmend Risikomanager:innen mit funktionsübergreifendem Fachwissen, das sie in verschiedenen Bereichen oder Branchen erworben haben. Aufgrund ihrer Fähigkeit, Risiken aus einer multidisziplinären Perspektive zu erkennen und anzugehen, sind solche Personen hoch im Kurs.
Diese Entwicklung hat zu einer Neukalibrierung des Gehalts geführt – denn Unternehmen sind nicht nur bestrebt, sondern teilweise gezwungen, Spitzenkräfte für diese wichtige Funktion zu gewinnen und zu halten. Im nächsten Abschnitt werden wir uns mit den spezifischen Vergütungstrends und -treibern befassen, die den Beruf von Risikomanager:innen prägen.
Gehaltssprung: Faktoren und Zahlen im Risikomanagement 4.0
Die gestiegene Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften im Bereich Risikomanagement hat in Verbindung mit dem wachsenden Umfang ihrer Aufgaben zu einem deutlichen Anstieg der Gehälter in verschiedenen Branchen und Regionen geführt. Laut der RIMS 2021 Compensation Survey stieg das Grundgehalt von Risikofachkräften in den USA im Jahr 2021 um durchschnittlich 14,4 % im Vergleich zu 2019, wobei der Median des Jahresgrundgehalts auf USD 135.000 stieg.
Auch in Deutschland ist es zu steigenden Gehältern gekommen. Das Jahresgehalt für einen Risikomanager am Anfang seiner Karriere liegt bei etwa 65.000 bis 70.000 Euro brutto. Nach 2-3 Jahren Berufserfahrung steigt es oft auf 85.000 bis 90.000 Euro plus Boni. Erfahrene Senior Risk Manager mit 3-7 Jahren Berufserfahrung verdienen bis zu 120.000 Euro plus Boni. In Führungspositionen sind Gehälter von bis zu 150.000 Euro möglich, während C-Level-Risikomanager wie Chief Risk Officers zwischen 140.000 und 250.000 Euro verdienen können. Die stark gestiegene Nachfrage nach Fachwissen im Bereich Risikomanagement aufgrund von Krisen wie dem Coronavirus und dem Krieg in der Ukraine hat diesen Gehaltsanstieg begünstigt.
Für diesen Aufwärtstrend bei den Gehältern im Risikomanagement sind die bereits besprochenen Faktoren verantwortlich. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften für das Risikomanagement, der wachsende Umfang des Risikomanagements und die zunehmende strategische Bedeutung der Funktion. Und darüber hinaus hat die Nachfrage nach speziellen Fähigkeiten wie Datenanalyse, Cybersecurity und ESG-Risikomanagement zugenommen. Risikomanager:innen mit Fachkenntnissen in diesen Bereichen sind äußerst begehrt und erhalten höhere Gehälter und Boni.
Branchen, die einer verstärkten Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden ausgesetzt sind oder ein komplexes Risikoumfeld haben, sind Vorreiter wenn es darum geht, wettbewerbsfähige Vergütungspakete anzubieten, um sich Top-Talente im Risikomanagement zu sichern. Dazu gehören unter anderem die Finanzbranche, das Gesundheitswesen und der Energiesektor.
Vergessen Sie nicht, dass die Vergütungstrends je nach Branche, geografischem Standort, Unternehmensgröße sowie individueller Erfahrung und Qualifikation variieren können. Die Gesamtentwicklung deutet jedoch auf einen anhaltenden Aufwärtstrend bei der Vergütung im Risikomanagement hin, der durch den steigenden Wert dieser wichtigen Funktion bedingt ist.
Vorbereitungen für die Zukunft des Risikomanagements 4.0
Da sich die Risikolandschaft in hohem Tempo weiterentwickelt, müssen sich Unternehmen proaktiv auf die Zukunft des Risikomanagements vorbereiten. Diese Vorbereitung beinhaltet nicht nur die Gewinnung und Bindung von Spitzentalenten – sondern auch Investitionen in die Entwicklung von Risikomanagement-Fähigkeiten und die Förderung einer risikobewussten Kultur im gesamten Unternehmen. Das bedeutet, dass die Grundsätze und Praktiken des Risikomanagements in der DNA des Unternehmens verankert werden. Das soll sicherzustellen, dass Risikoüberlegungen in alle Entscheidungsprozesse einfließen, von der strategischen Planung bis hin zum Tagesgeschäft. Weiterhin ist damit auch die Fähigkeit des kritischen Denkens gemeint, einer der Top Soft Skills auf der aktuellen Liste des Weltwirtschaftsforums.
Apropos Soft Skills: Effektive Kommunikation und die Einbindung von Stakeholdern sind ebenfalls entscheidend für die Förderung einer risikobewussten Kultur. Risikomanager:innen sollten Strategien entwickeln, um Risikoinformationen klar und überzeugend zu kommunizieren, zugeschnitten auf die spezifischen Bedürfnisse und Sichtweisen der verschiedenen Stakeholder – einschließlich der Geschäftsleitung, der Vorstandsmitglieder und der Beschäftigten.
Lernen und Entwicklung (engl. L&D) ist das nächste große Thema der Stunde. Unternehmen tun gut daran, dem kontinuierlichen Lernen für ihre Risikomanagement-Teams Priorität einzuräumen. Dazu gehört unter anderem der Zugang zu Online-Kursen, Zertifizierungen oder Workshops. Aber auch genauso Coaching oder Mentoring Programme (lesen Sie dazu den Beitrag über Employee Development unserer Kolleg:innen von Foxio Consulting). Somit können Sie sicherzustellen, dass die Risikomanager:innen mit den neuesten Methoden, Werkzeugen und bewährten Verfahren in ihrem Bereich auf dem Laufenden bleiben. Risikomanager:innen brauchen spezielle Zusatzkenntnisse im Finanzierungsbereich und bei quantitativen Verfahren wie Simulationsverfahren, Rating- und Bewertungsverfahren. Laut Werner Gleißner (unter anderem im Vorstand des EACVA (European Association of Certified Valuators and Analysts), laufen wir auf einen Engpass im Bereich der Simulationsverfahren zu. Und ohne dieses Wissen kann der Grad der Bestandsgefährdung eines Unternehmens nicht beurteilt werden – und das ist eine elementare Aufgabe!
Auch die Förderung der funktionsübergreifenden Zusammenarbeit und des Wissensaustauschs kann die Effektivität des Risikomanagements erhöhen. Durch das Aufbrechen von Silos und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Risikomanager:innen, Spezialist:innen und Geschäftseinheiten können Unternehmen ein umfassenderes Verständnis von Risiken gewinnen und holistische Strategien zur Risikominderung entwickeln.
Darüber hinaus sollten Unternehmen die Einführung risikobasierter Leistungskennzahlen und Anreize in Erwägung ziehen, um die Ziele des Risikomanagements mit den allgemeinen Geschäftszielen in Einklang zu bringen. Indem sie die Vergütung und Leistungsbewertung an die Ergebnisse des Risikomanagements koppeln, können Unternehmen die Bedeutung eines proaktiven Risikomanagements unterstreichen und die gewünschten Verhaltensweisen fördern.
Und nicht zuletzt sollten Unternehmen natürlich State of the Art Technologie und Datenanalyse nutzen, um ihre Fähigkeiten im Risikomanagement zu verbessern. Investitionen in fortschrittliche Risikomanagement-Software, Tools zur Datenvisualisierung und prädiktive Analysen liefern meist wertvolle Erkenntnisse und ermöglichen eine fundiertere Entscheidungsfindung. Noch mehr Ausgaben fragen Sie sich? Keine Sorge, diese Investitionen sind rasch amortisiert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft des Risikomanagements in einem höchst proaktiven Ansatz liegt. Durch Investitionen in die Entwicklung von Talenten, von Technologien, die Förderung einer risikobewussten Kultur und die Ausrichtung des Risikomanagements an den Unternehmenszielen können sich Unternehmen in die Lage versetzen, die Komplexität der sich entwickelnden Risikolandschaft zu bewältigen und langfristig erfolgreich zu sein.